Hermitage Castle

Von Hagen|9. August 2016|Europa, Lowlands, Schottland, TRAVEL

Hagen. Unser zweiter Tag in den Scottish Borders beinhaltete neben unserem Roadtrip durch die schöne Landschaft der Lowlands drei historische Stätten, von denen wir zuerst Hermitage Castle in unmittelbarer Nähe zur Grenze nach England ansteuerten. Ein trutziger „Stronghold“ im gefühlten Nirgendwo mit einer aufregenden und blutigen Vergangenheit.

Nachdem ich am ersten Tag ja schon über die „Border Reivers“ gestolpert ging, stand an unserem zweiten Tag eine Fahrt nach Süden, zur schottisch-englischen Grenze und damit in „Reiver-Gebiet“ auf dem Programm. Hier, in dem über viele Jahrhunderte heiß umkämpften Gebiet, war vor langer Zeit die Wirkungsstätte der Reivers. Der Weg zu unserem Ziel führte durch die sanften Hügel der Lowlands, die (sehr passend) unter einer tiefen, dramatischen Wolkendecke lagen. Die engen und zuweilen eigenwillig verlaufenden Landstrassen lagen meist verlassen da, so dass wir die schottische Landschaft in Ruhe und Einsamkeit genießen konnten. Wobei ich das „Einsam“ etwas einschränken sollte, denn meist waren ein paar Schafe anwesend. Zuweilen auch auf der Strasse.

Als ich Anfang der 1990er das erste Mal in den Borders war, ragte plötzlich mitten in der Einöde ein grauer Kasten aus dem Land. Neben einem kleineren Fluss zwischen den sanften Hügeln gelegen steht eine trutzige Burg, die in ihrer äußeren Form die Zeiten überdauert hat. Ein Bollwerk im Grenzland, zu dem die britische Bezeichnung „Stronghold“ sehr gut passt: Hermitage Castle. Meinen Vater und mich hat dieser Burgbau mehr beeindruckt als alle anderen Burgen und Schlösser, die wir bei unserer damaligen Schottlandreise gesehen und besucht haben.

Ein in seiner Kompromisslosigkeit und sichtbaren Stärke überwältigender Eindruck, den der trutzige Bau auch dieses Mal wieder bestätigt hat. Der Wind peitsche die Bäume, die Wolken hingen tief über dem Land und dann begann es noch in Strömen zu regnen – das einzige Mal in unserem Urlaub, das wir nass geworden sind. Aber ein Wetter, das in Verbindung mit der Landschaft und dem Stronghold zur besonderen Atmosphäre des Ortes beigetragen hat. Die Stimmung an diesem Ort war der perfekte Auftakt, um auch seelisch in Schottland anzukommen.

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Im frühen 13. Jahrhundert – das Hochmittelalter ging langsam zu Ende – fanden Mitglieder der Familie de Soules die strategisch gute Stelle am Ufer des Hermitage. Die Familie, die ursprünglich aus der Normandie stammte und 1066 mit Wilhelm dem Eroberer auf die britanische Insel kam, um später nach Schottland über zu siedeln und unter König David I. zu dienen, war gerade dabei die Diener ihres Lord Ranulf zu verfolgen, den diesen ermordet hatte. Ob sie die Mörder bekommen haben weiß ich nicht, aber um 1240 stand an dieser Stelle eine erste Burg – noch eine Motte aus Erdreich und Holz. Und damit begann die blutige Geschichte des trutzigen Bauwerks.

Durch seine Lage in unmittelbarer Nähe zur Grenze war Castle Hermitage im Unabhängigkeitskrieg, der 1296 ausbrach, umkämpft und schon bald in englischer Hand. Formal aber immer noch schottischer Besitz gehörte Hermitage weiterhin dem Clan (gleichbedeutend mit „Familie“) de Soules. Aber auch nur noch bis 1320, als William de Soules den schottischen König Robert the Bruce (der schottische Nationalheld, der auch im Film „Braveheart“ einen Auftritt hat) ermorden wollte, um selber König zu werden. Muss generell ein nicht besonders netter Mensch gewesen zu sein, der auch mal säumige Pächter in einem Topf mit flüssigem Blei zu Tode kochte. Das mit dem „König an Stelle des Königs“ hat zumindest nicht geklappt, weshalb er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbrachte und Hermitage an Sir Robert Bruce, einem illegitimen Sohn des Königs verliehen wurde.

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Und damit ging es erst richtig los mit den Besitzwechseln. Denn gemäß des Friedensvertrages von 1328 hätte Hermitage an englische Adlige gegeben werden müssen, aber die sturen Schotten hielten sie weiter besetzt. Nachdem aber Sir Robert mit seiner Armee 1332 in der Schlacht von Dupplin Moor dahingeschlachtet wurde und sich der (mit Hilfe der Engländer) siegreiche Edward Balliol zum König krönen ließ, gab Letzterer Hermitage Castle an eine einflussreiche Familie aus dem englischen Northumbria. Der hatte jedoch nicht lange Freude daran, denn schon 1336 kam der rechtmäßig König David II. (der Sohn von Robert the Bruce) aus dem Exil zurück und Edward floh nach England. David gab die Burg an Sir William Douglas, der sich in vielen Schlachten gegen die Engländert ausgezeichnet hatte.

Obwohl in vielen Schlachten siegreich war William (der auch als „Blüte der Ritterlichkeit“ bezeichnet wurde) nicht immer ein leuchtendes Vorbild. Denn als der König nicht ihn, sondern Sir Alexander Ramsay, zum Sheriff von Teviotdale ernannte, war er sauer. Kurzerhand warf er Sir Alexander in den Kerker seiner Burg und ließ ihn dort verhungern. Und da die Position ja jetzt vakant war, ernannte der König William Douglas zum neuen Sheriff. Die Aktion war nicht nett, aber letztendlich erfolgreich. Doch auch William, der Ritter von Liddesdale, musste mit dem Kerker Bekanntschaft machen, als er nach nach einer Schlacht (natürlich gegen die Engländer) gefangen und im Tower in London eingesperrt wurde. Dort wollte er einen Deal mit den Engländern machen – und da hatte der schottische König David II. wohl endgültig von ihm die Nase voll.

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Daher ernannte der König den Patensohn des „Ritters von Liddesdale“, der (um es noch verwirrender zu machen) ebenfalls William hieß, zum Herren über Hermitage Castle. Dieser William war zu dem Zeitpunkt schon Lord of Douglas und wurde 1353 zum 1. Earl von Douglas erhoben. Sein Onkel gilt übrigens als Begründer der schwarzen Linie des Clans Douglas, war ein alter Kampfgefährte von König Robert the Bruce und starb in Spanien im Kampf gegen die Mauren, als er auf dem Weg war das Herz des toten Königs und Freundes ins Heilige Land zu bringen, weshalb er auch in der Rosslyn-Chapel (siehe Beitrag hier) abgebildet ist.

Wer übrigens wissen will, was aus dem alten Ekel William geworden ist: Der wurde von seinem Neffen William Douglas erschlagen. Was lernen wir daraus? In Schottland sind die Familie, der Clan wichtig – aber wenn es in der Familie mal kracht, dann wird nicht lange um den heißen Brei herum geredet, sondern es werden klare Ansagen gemacht.

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Vielleicht war es auch Familiengefühl, dass der Lord der Witwe des Ritters William und ihrem zweiten Mann (dem englischen Baron Hugh Dacre) die Burg überließ. Wahrscheinlich war die Holzburg nach den ganzen Streitigkeiten etwas überholungsbedürftig. Deshalb ließ Dacre sie auch abreißen und baute an ihrer statt eine kleine Steinburg, die eher wie zwei Satteldachwohnhäuser mit zwischenliegendem Hof als wie eine richtige Burg aussah. Der Baron war aber auch nicht von der dankbar-netten Sorte Mensch, denn noch im selben Jahr (1355) griff er trotz eines Waffenstillstandes den Lord Douglas an. Strafe muss sein: Dacre musste 100 Pfund Sterling bezahlen und Hermitage wurde ihm weggenommen. Von William, der indessen ja Earl von Douglas geworden war.

Damit war aber auch Schluss mit den ständigen Besitzerwechseln. Vorerst zumindest. Für über ein Jahrhundert blieb Hermitage Castle in der Hand des Douglas-Clans und wurde auch optisch zu einer Burg. Der mittlere Bereich („Central Tower“) entstand schon unter Earl William, der 1384 starb – vier Jahre vor seinem Sohn. Letzterer starb übrigens (Überraschung!) bei einer Schlacht gegen die Engländer, bevor er in Melrose begraben wurde. Georg Douglas, der Earl of Angus, unehelicher Sohn von Earl William und Begründer der roten Linie des Clans Douglas, übernahm und baute die flankierenden „Corner Towers“ – den „Well Tower“, „Prison Tower“ und „Douglas Tower“. Aber auch er starb irgendwann. Um genau zu sein 1402 als Gefangener der Engländer (was er natürlich war, weil er an einer Schlacht teilgenommen hatte) an der Pest.

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Vermutlich dämmert es so langsam, was ich mit der blutigen Geschichte der Scottish Borders meinte. Engländer und Schotten haben sich damals eigentlich ständig die Köpfe eingehauen. Vermutlich war in dieser Zeit das friedliche Entschlafen durch hohes Alter im Bett für den Adel eine eher ungewöhnliche Todesart. Aber Hermitage Castle war um 1400 in seiner äußeren Form fertig – wobei es natürlich immer mal wieder einige Änderungen gab, um sich dem Zeitgeist und der Militärtechnik anzupassen. So lag der Eingang ursprünglich im 1. Stock, wo er sich einfacher verteidigen ließ (da wo im unteren Foto die Metalltreppe hinter der Mauer verwindet). Als die Kanonen aufkamen mauerte man ihn zu und nahm einen kleine, leichter zu verteidigenden Eingang im Zentralturm, der dann auch mit zwei Öffnungen für Kanonen flankiert wurde.

Nicht ganz hundert Jahre nach dem Tod von Georg Douglas hatte einer seiner Nachfahren die Idee sich mit den Engländern zu verbünden. Für einen Schotten eine dämliche Idee, die dann auch schnell dazu führte, dass er im Tausch gegen eine andere Burg diese für Schottland so wichtige Grenzbefestigung abgeben musste – an den 1. Earl of Bothwell.

Nur wenige Jahrzehnte später hat dann der 3. Earl von Bothwell die gleiche dämliche Idee wie schon einige Hermitage-Castle-Herren vor ihm. Dabei wollte er dem Feind (sprich: Engländer) sogar die ganze Region Liddesdale übergeben. Da reichte es der schottischen Krone und sie übernahm die Kontrolle über das Bollwerk und Hermitage Castle wurde damit eine königliche Burg. Die Krone modernisierte die Stronghold mit der schon erwähnten Verlegung des Eingangs, dem Einbau von „Gunholes“ und dem Bau der Ravelin um die Burg herum.

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Doch noch wird es nicht ruhiger um Hermitage Castle. Im Jahr 1566 – in England regierte indessen Queen Elisabeth I., die zwanzig Jahre später der spanischen Armada die Stirn bot – saß Maria Stuart auf dem schottischen Thron. Nach dem Tod ihres Mannes, des Königs von Frankreich, war sie 1561 mit gerade mal 18 Jahren nach Schottland zurück gekehrt. Dort hatte sie 1565 überstürzt ihren einige Jahre jüngeren Cousin Henry Stuart geheiratet, was sie aber wohl schnell bereut hat, denn Henry neigte zu Eskapaden und wollte als König regieren. Als er dann noch den Vertrauten und Privatsekretär seiner Frau faktisch vor ihren Augen ermorden ließ dürfte die Ehe endgültig zerrüttet gewesen sein.

Aber Mary, Queen of Scots, setzte ihre Verführungskünste ein und Henry selbst half ihr zu fliehen – was letztendlich dazu führte, dass er selber das Weite suchen musste. Sie hatte indessen wohl was mit ihrem Kronrat James Hepburn, dem 4. Earl of Bothwell (ja, der Sohn des Verräters, der Hermitage-Castle hat abgeben müssen) angefangen. Und ihm Oktober 1566 lag dieser auf Hermitage Castle im Koma, weil er bei der Festnahme von Little John Elliot (einem Reiver) von diesem einen Schwertschlag auf den Kopf erhalten hat. Denn Kraft seines Amtes musste er im Gebiet Liddesdale für Recht und Gesetz sorgen – was in der damaligen Zeit in erster Linie bedeutete „Border Reiver“ (sic!) zu verfolgen, festzunehmen und im „Prison Tower“ von Hermitage festzusetzen (also bevor man sie dann aburteilte und vermutlich tötete).

Zumindest hörte Queen Mary davon und ritt bei erwartungsgemäß schlechtem Oktoberwetter nach Hermitage Castle, um ihn zu sehen. Ein Ritt, nachdem sie den wieder genesenden Bothwell glücklich in die Arme schließen konnte. Da sie als verheiratete Frau aber nicht in der Burg übernachten konnte, ritt sie Nachts noch zurück nach Jedburgh, woraufhin sie selber schwer erkrankte. Aber auch sie wurde wieder gesund und der Rest ist Geschichte: Sie ließ ihren Mann Henry ermorden (wahrscheinlich durch Bothwell), heiratete wieder (natürlich Bothwell), provozierte einen Adelsaufstand (wegen Bothwell), in deren Folge sie zu Gunsten ihres einjährigen Sohnes abdanken musste (der fünf Tage später als James IV. zum König gekrönt wurde). Ihre Flucht führte letztendlich nach England, wo Maria Stuart dann 1587 hingerichtet wurde.

König James IV. war (nachdem er Sprechen gelernt hatte) natürlich nicht gut auf Bothwell, dem vermutlichen Mörder seines Vaters, zu sprechen. Nachdem dieser daher 1594 endgültig ins Exil gehen musste, ging Hermitage Castle an „the Bold Buccleuch“ (mit wahrem Namen Walter Scott of Branxholm und Buccleuch), einem notorischen „Scottish Reiver“ (da sind sie wieder!), der jetzt plötzlich in der Gegend für die Einhaltung von Recht und Gesetz zuständig war. Es mag überraschen, aber so richtig gut hat das nicht funktioniert. In diesen Jahren, die in den Borders geprägt waren von ständigen Streitigkeiten mit den Engländern und Überfällen auf den Feind (was neben den Engländern auch mal ein benachbarter Clan sein konnte), lag die letzte Blütezeit der „Border Reivers“. Diese endete langsam nachdem der schottische König James IV. im Jahre 1603 als James I. den englischen Thron bestieg und unter einem gemeinsamen Herrscher auch Hermitage Castle seine Rolle als Grenzbefestigung verlor.

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Ohne ihre Bedeutung als „the guardhouse of the bloodiest valley in Britain“ (Fraser) wurde die Burg irgendwann aufgegeben und begann zu verfallen. Erst im frühen 19. Jahrhundert begann man etwas gegen den Verfall zu unternehmen und den Versuch die Ruine zu retten. An vorderster Front zwei Nachfahren von „the Bold Buccleuch“: der 5. Duke of Buccleuch und der berühmte schottische Schriftsteller Sir Walter Scott. Letzterer schrieb auch eine Ballade über die Taten von „the Bold Buccleuch“ und Hermitage Castle zählte zu seinen Lieblingsburgen. Womit ich mit dem großen Schriftsteller einer Meinung bin.

In der Nähe der Burg, die seit 1930 von „Historic Scotland“ betreut wird, befinden sich auch die Fundamente einer kleinen Kirche, umgeben von einem Friedhof. Vermutlich wurde diese Kirche im späten 13. oder frühen 14. Jahrhundert erbaut. Also etwa in der Zeit, in der auch Hermitage Castle seine endgültige Form erhielt. Drei Kirchenfenster, die man im frühen 20. Jahrhundert ausgebuddelt hat, stehen heute an der burgseitigen Friedhofsmauer.

Direkt am Friedhof vorbei führt der Fluss Hermitage und zwischen beiden gibt es einen kleinen Erdhügel, der auf einer alten Legende verweist. So soll es mal den Baron Cout of Keilder gegeben haben, welcher die Besitzer von Hermitage terrorisierte. Dieser Baron (natürlich Engländer) war nicht nur besonders groß, sondern besaß auch ein magisches Kettenhemd, das ihn vor tödlichen Schlägen schützte. Doch eines Tages hat er wohl gebadet und ist dabei ertrunken. Es ist zu vermuten, dass es hier in den Fluten des Heritage war, denn auf dem Erdhügel außerhalb der Friedhofsmauer liegt ein Stein mit einer Aufschrift: „Cout of Keilder’s Grave“.

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1 Kommentar

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