Sturmkrähes Grenzen
Hagen. Ein weiterer Text aus der Serie über meinen Weg durch meine Depression. Zur Dokumentation meines Weges und meiner Gedanken, die ihn begleiten. Eine Art Abenteuer, wenn auch nicht von der Sorte, wie man sie Anderen wünscht. Dennoch freue ich mich über jede Art des Austausches, zum Beispiel in den Kommentaren.
War ich bei der Familienfeier am Freitag noch positiv überrascht, wie ruhig und gelassen ich angesichts der vielen verschiedenen Gäste meines Schwagers und der fünf Stunden mit meinen Neffen geblieben bin, hat mir während der Feier am Ostersonntag Sturmkrähe die Grenzen meiner Belastbarkeit aufgezeigt. Die gutgemeinte Hilfe meiner Mutter und meiner Tante, die schon früh in unserer Wohnung herum wuselten und die Vorbereitungen für die Feier mittrugen, gepaart mit dem liebevollen Chaos, der meiner sehr kommunikativen Familie bei solchen Feiern zu eigen ist, hat mich schon nach wenigen Stunden in einen Zustand der Überforderung versetzt.
Ich glaube nicht, dass es den einen ausschlaggebenden Grund für diese Überforderung gegeben hat. Es waren wohl viele Faktoren, die zu einem Gefühl führten, dass ich Alles nur noch durch eine Art Schleier wahrnahm, getrennt von der Realität. Es mir schwer fiel mich auf die Gespräche zu konzentrieren, mich auf eine Sache zu fokusieren. Ich stand mit den dreckigen Tellern in der Küche, wo gerade der Teig für die Pancakes angerührt wurde, und eine depressive Welle schlug über mir herein. Ich war nicht fähig etwas zu tun, wusste nicht was ich machen, wo ich anfangen sollte.
Begann einfach nach lang einstudierten und erprobten Mechanismen zu funktionieren und zu reagieren. Dabei hätte ich in dem Moment mir nur gewünscht irgendwo einsam und allein zu sein, meine Ruhe zu haben. Stille. Doch so stand ich innerhalb des ganzen Trubels, der um mich herum wogte, ohne ein Teil davon zu sein. Einsam und alleine in dem ganzen familiären Leben. Ich hätte am Liebsten einfach still geweint. Nur meine Frau, die zu dem Zeitpunkt wohl ähnlich empfand wie ich, verminderte die gefühlte Einsamkeit.
Erst als wir alleine mit meinen Söhnen und ihren Partnerinnen waren, das Chaos, die Aufregung und der Lärm sich gelegt hatte, verschwand die depressive Einsamkeit und die Entspannung setzte ein. Doch ist man einmal in düsterer Stimmung gewesen, mag diese irgendwann schwinden, jedoch entschwindet niemals ganz. Auch die Medikamente haben bisher keine längere und dauerhafte Besserung, eine Verringerung der Stimmungsschwankungen gebracht. Die Frage, ob nach nunmehr drei Jahren ein neuerlicher Klinikaufenthalt auf Dauer unumgänglich ist, bleibt.
Ebenso nährt die Überforderung die Zweifel, ob eine normale Arbeitstätigkeit im Arbeitnehmerverhältnis in Vollzeit zukünftig überhaupt noch möglich ist. Immer noch zerreisst immer wieder der Schleier, die Angst und der Zweifel treten bestimmend hervor und lassen mich wieder in der Utopie der Verzweiflung zurück. Ich bin immer noch unterwegs. Ob ich je ein Ziel erreichen werde und welches Ziel es dann sein mag, steht einzig in den Sternen, die ich neu ordnen muss. Bin auf dem Weg. Doch Tage wie heute, mit ihren Grenzen, die Sturmkrähe mir sehr deutlich aufzeigt, machen mir klar, dass der Weg noch weit ist …
Gerade höre ich übrigens, wie schon seit einigen Wochen immer mal wieder das Konzert von Loreena McKennitt in der Alhambra, was damit in gewisser Weise zur musikalischen Begleitung meines Burnouts geworden ist. Das Video auf YouTube findet sich hier. Musik, die meine Seele streifen, meinen Geist wandern lässt. Langsam, tragend, bis in die tiefsten Täler voller Zwielicht. Kraftvoll, mystisch, auf die Gipfel des Lichts. Des Lichts der Hoffnung. Denn trotz allem: Die Hoffnung bleibt. Die Hoffnung auf ein erfülltes Leben.