Irgendwie ist alles anders – Reisen und Depressionen

Von Verena|3. März 2016|#notjustsad

Ich habe schon eine ganze Weile hier nichts mehr geschrieben und man könnte meinen, dass in der Zwischenzeit nicht so viel passiert ist. Das Gegenteil ist aber der Fall: es ist unglaublich viel passiert.

Anfangs fiel es mir schwer, mir einzugestehen, dass ich, die Toughe und Engagierte, Humorvolle und Organisierte, wirklich ein Problem habe. Erst der Tod meiner Großmutter Anfang Januar diesen Jahres brach dann die letzten Dämme, die meine Belastungen noch im Zaum gehalten hatten und mein Körper meldete sich auf sehr eindrückliche und erschreckende Weise zu Wort, wie ich es noch niemals in meinem Leben zuvor erlebt hatte.

Ich bekam heftige Angstattacken, Herzrasen, Atemprobleme, Magenschmerzen. Jeder positive Gedanke und jedes wunderbare Erlebnis wurde sofort von Todesahnungen, Zukunftsangst und Panik vor Kontrollverlusten begleitet und in den Boden gestampft. Ein Schock. Fragen begannen in meinem Kopf zu kreisen: Ist so etwas nach dem Tod eines geliebten Menschen normal? Steigere ich mich da in etwas hinein? Ist das einfach nur eine Phase? Was muss ich jetzt tun? Und – wann gibt es endlich wieder einmal einen Tag, an dem ich nicht vom ersten Aufstehen bis zum Schlafengehen traurig bin?

Der Andalusienurlaub war gebucht. Mein innerer Sparfuchs grub die Hacken in den Boden und riet mir, auf jeden Fall zu fliegen. Eine Reiserücktrittsversicherung hatten wir zwar abgeschlossen, aber wie würde sich wohl mein neuer Hausarzt anstellen, wenn ich ihn bäte, mich wegen einer Depression krank zu schreiben? Und mein innerer Sturkopf sagte „Du hast schon soviel weggesteckt im Leben, jetzt reiß Dich doch einfach zusammen. Es wird sicher toll.“

Natürlich dachte ich mir, dass es helfen würde, etwas Neues zu sehen und kurzzeitig aus den Problemen des Alltags herausgelöst zu werden. Ich hoffte während des Hinflugs, ich hoffte während der Fahrt von Malaga zum Hotel, ich hoffte auch immer noch, als ich am ersten Abend weinend und zitternd im Hotelzimmer stand und nur noch nach Hause wollte.

Wir blieben. Es war eine unglaubliche Anstrengung sowohl für Hagen als auch für mich, denn an jedem Tag kämpfte ich gegen die Angst, die Panik und die absolut tiefschwarze Traurigkeit. Ich sammelte kleine Steine auf dem Weg, um für jeden tollen Moment einen kleinen Stein aus der rechten in die linke Hosentasche wandern zu lassen, damit ich Abends sehen konnte, was ich über den Tag hinweg nicht empfinden wollte.

Ich habe die Alhambra gesehen und mein Kopf weiß, dass es fantastisch war. Meine Seele winkte müde ab.

Wir haben schneebedeckte Berglandschaften und Wohnhöhlen besichtigt, alte Kirchen voller wertvoller Kunstschätze bestaunt, ich habe in der kräftigen Februarsonne gesessen und bin an einem unberührten Naturstrand mit den Füßen durch das eiskalte, magisch blaue Meer gelaufen. Interessante und liebenswerte Menschen haben unseren Weg gekreuzt und jeden unserer Tage bereichert.

Meine Seele konnte den Wert all dieser Dinge nicht verstehen.

Als wir endlich, endlich wieder in Deutschland waren, wurde mir eines klar: ich muss etwas tun. Ganz schnell.

Ich hatte Glück: meine Familie, meine Freunde und vor allen Anderen mein Mann waren für mich da, als ich sie am dringendsten brauchte. Mein Hausarzt erwies sich als große Stütze und unglaublich empathischer Mensch. Mein Chef und meine Kollegen bewiesen, was für ein guter Zusammenhalt in unserem Bereich herrscht. Und Fortuna war mir hold, denn mir gelang es, in nur 2 Wochen (2 Wochen? Normalerweise wartet man in Deutschland Monate auf einen Termin beim Therapeuten) einen Therapieplatz für mich zu finden, bei einer Frau, die mir durch ihre leicht planlose, aber offene und kluge Art sehr hilft.

Es geht voran. Ganz langsam. Probleme entblättern sich, die bislang am Rand meiner Beachtung gelegen haben, weil ich sie dorthin geschoben hatte. Ich weine jeden Tag mindestens einmal, aber ich habe wieder angefangen, wirklich aus meiner Seele heraus zu lachen und nicht nur mit dem Mund.

Nicht jeder Tag ist komplett dunkel, nicht jeder komplett hell. Ich schlittere durch Gefühlsschwankungen, gute Momente und ganz schön miese. Aber ich verspüre Bewegung in mir. Ich will lernen, die Ängste zu akzeptieren und mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich möchte wissen, wie es ist, mal wieder etwas spontan zu machen und den Augenblick völlig ungeplant zu genießen. Ich will wieder ich selbst sein, mit all meiner Energie, meiner Kreativität, meinem Können.

Ich habe übrigens heute eine Reise gebucht. 5 Tage Texel über Ostern. Nur ich und meine Lieblingsinsel. Ganz viel Raum für mich und meine Seele, für stumme Zwiegespräche und vielleicht den ein oder anderen Streit mit mir selbst.

Ich habe richtig, richtig Angst. Davor, ohne meinen Mann unterwegs zu sein, der mich stützen könnte. Davor, dass Unvorhergesehenes geschieht, mit dem ich vielleicht nicht umgehen kann. Davor, dass meine Seele wieder dicht macht und ich die Schönheit, die mich umgibt, nicht sehe.

Aber ich weiß auch, dass ich nichts unversucht lassen werden, um das ganz große Abenteuer – das Leben – wieder mit voller Kraft angehen zu können. Und diese kleine Reise ist ein großer Schritt nach vorne.

2 Kommentare

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