Immer in Bewegung bleiben!?
Hagen. Ein weiterer Text aus der Serie über meinen Weg durch meine Depression. Zur Dokumentation meines Weges und meiner Gedanken, die ihn begleiten. Eine Art Abenteuer, wenn auch nicht von der Sorte, wie man sie Anderen wünscht. Dennoch freue ich mich über jede Art des Austausches, zum Beispiel in den Kommentaren.
„Be active!“ Das ist derzeit wohl (auch) mein Motto. Wandern, Fotos nachbearbeiten, Reisen und Unternehmungen planen, Familienfeiern, Larp-Veranstaltungen, Arztbesuche, Spazieren gehen, … Ich sorge derzeit schon dafür, dass mir nicht langweilig wird. Aber erst heute Morgen habe ich begriffen, in welchem Ausmaß dieses Motto gerade mein Leben bestimmt und welchen Bezug es zu meiner aktuellen gesundheitlichen Situation hat.
„Du warst wie ein Zombie!“ Das sagte mir meine Frau vor einigen Wochen bezogen auf meinen ersten Burnout. Damals hätte ich rein gar Nichts mehr auf die Reihe bekommen, war apathisch. Selbst das Aufsetzen einer Wäsche war zuviel für einen Tag. Ich hatte das gar nicht so wahrgenommen, aber in einer Depression sollte man auch nicht unbedingt seiner eigenen Wahrnehmung trauen. Ihre Aussage hat mich erschreckt.
In diesen Zustand möchte ich nicht mehr zurück. Auch weiß ich, dass es irgendwie weiter gehen muss. Dass meine Krankheit, wenn schon nicht vollständig überwunden, so doch lebenskompatibel zu gestalten ist. Ich weiß: nicht heute und nicht morgen, aber in einer absehbaren Zeit. Doch in meinem Hinterkopf steht ein kleines Männchen und fordert, dass das besser gestern als morgen der Fall sein sollte. Dass ich schnellstens wieder Leistung erbringen und Geld verdienen muss.
Es ist verrückt. Ich bleibe in ständiger Bewegung, halte mich ständig beschäftigt, bin – zum Teil unterbewusst krampfhaft – unentwegt aktiv, um nicht in den lethargischen Zombie-Modus zu verfallen. Auch, weil ich mir damit beweise, dass ich in meinem zweiten Burnout nicht so schlimm dran bin wie im ersten. Dass ich früher die Hinweise bemerkt und den Absprung geschafft habe. Dass ich dieses Mal klüger war.
Zeitgleich fühle ich mich die ganze Zeit wie unter Strom. Also würde ich einen Dauerlauf bestreiten, ohne ein konkretes Ziel zu haben. Dabei sollte ich vielleicht einfach mal stehen bleiben und den Augenblick genießen. Oder gemütlich schlendern. Nein, ich laufe, weil ich Angst habe einfach mal stehen zu bleiben und Nichts zu tun. Ich könnte ja in Zombiestarre verfallen.
Oder es kommen in der Ruhe Gedanken und Gefühle, mit denen ich derzeit nicht umgehen kann. Oder nicht umgehen will. Sie einfach nicht haben, nicht denken und nicht fühlen möchte. Wie während des Urlaubs in Andalusien, als die Ruhe nicht Entspannung brachte, sondern das innere Befinden bewusst hervor brach. Ich nehme zwar indessen Tabletten dagegen, aber eine gehörige Portion Skepsis bleibt.
Es ist ein Teufelskreis! Ich bleibe in ständiger Bewegung, weil ich Angst habe einfach mal inne zu halten. Auf der anderen Seite fühle ich mich ständig unter (Zeit-) Druck und gehetzt, weil ich nicht mal inne halte. Komme nicht zur Ruhe und zum Nachdenken. Was in der aktuellen Situation eher suboptimal ist.
Es kommt noch besser: Ich setze mich unter Zugzwang, wie es beruflich mit mir weitergeht. Nötige mich zu einer schnellen Entscheidung zu kommen. Im Wissen, dass das dann eine Entscheidung sein sollte, die auch für einige Jahre Bestand haben muss. Ein Entschluss, der mich aber nicht wieder in den nächsten Burnout führen darf. Klingt nicht einfach. Ist es auch nicht.
Für einen solchen Schritt sollte man sich die Zeit und Muße nehmen, um drüber nachzudenken. Es nicht übers Knie brechen. Sich nicht unter Zugzwang setzen, denn unter Druck kann es keine sinnvolle, gute und längerfristig tragbare Entscheidung geben. Man sollte inne halten, den Geist schweifen lassen, um nicht mit den Scheuklappen des Alltags einen vornehmlich bequemen Entschluss zu fassen.
Ich blockiere mich mit dieser zwanghaften Aktivität derzeit selber. Das ist meine Erkenntnis des Tages. Wenn ich weiter kommen will, vorhabe soweit wie möglich gesund zu werden und mein Leben wieder in geordnete normale vernünftige (für mich) sinnvolle Bahnen lenken möchte, dann muss ich aus diesem Teufelskreis ausbrechen. Je schneller, desto besser.
Weniger feste Termine. Mehr Spontanität. Stärker auf den Bauch und das Herz hören. Machen, was mir gut tut. Noch mehr raus, weg von allen Ablenkungen. Öfter nur ich und meine Gedanken – egal ob licht oder düster. Aber auch mal gammeln, die Seele baumeln lassen, inne halten und den Augenblick in vollen Zügen genießen.
Ich muss einfach mehr auf mich hören und entspannter werden. Ich lebe in echt komplizierten und interessanten Zeiten.
Foto: Maximilian „Maxx“ Unger